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NC-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Hochschulvergabeverfahren teilweise verfassungswidrig

Wir haben über Weihnachten die umfangreiche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes studiert. Wie wir bereits mitgeteilt haben, hat diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes derzeit keine aktuellen Auswirkungen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar zahlreiche Normen des bisherigen Hochschulzulassungsrechtes für unwirksam erklärt, jedoch dem Gesetzgeber eine Anpassungsfrist bis zum 31.12.2019 eingeräumt. Für die laufenden Hochschulzulassungsverfahren hat diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes praktisch keine unmittelbare Auswirkung. Nichtsdestotrotz dürfen wir die Leitsätze 1-6 des Bundesverfassungsgerichtes wie folgt wiedergeben:

1. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG haben jede Studienplatzbewerberin und jeder Studienplatzbewerber ein Recht auf gleiche Teilhabe an staatlichen Studienangeboten und damit auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Studium ihrer Wahl.

2. Regeln für die Verteilung knapper Studienplätze haben sich grundsätzlich am Kriterium der Eignung zu orientieren. Daneben berücksichtigt der Gesetzgeber Gemeinwohlbelange und trägt dem Sozialstaatsprinzip Rechnung. Die zur Vergabe knapper Studienplätze herangezogenen Kriterien müssen die Vielfalt der möglichen Anknüpfungspunkte zur Erfassung der Eignung abbilden.

3. Der Gesetzgeber muss die für die Vergabe von knappen Studienplätzen im Studienfach Humanmedizin wesentlichen Fragen selbst regeln. Insbesondere muss er die Auswahlkriterien der Art nach selbst festlegen. Er darf den Hochschulen allerdings gewisse Spielräume für die Konkretisierung dieser Auswahlkriterien einräumen.

4. Die Abiturbestenquote begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die maßgebliche Orientierung der Vergabeentscheidung an den Ortswunschangaben sowie die Beschränkung der Bewerbung auf sechs Studienorte lassen sich im Rahmen der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich jedoch nicht rechtfertigen.

5. Verfassungswidrig sind die gesetzlichen Vorschriften zum Auswahlverfahren der Hochschulen insofern,

o als der Gesetzgeber den Hochschulen ein eigenes Kriterienerfindungsrecht überlässt,

o als die Standardisierung und Strukturierung hochschuleigener Eignungsprüfungen nicht sichergestellt ist,

o als die Hochschulen neben eignungsbezogenen gesetzlichen Kriterien uneingeschränkt auch auf das Kriterium eines frei zu bestimmenden Ranges der Ortspräferenz zurückgreifen dürfen,

o als im Auswahlverfahren der Hochschulen die Abiturnoten berücksichtigt werden können, ohne einen Ausgleichsmechanismus für deren nur eingeschränkte länderübergreifende Vergleichbarkeit vorzusehen,

o als für einen hinreichenden Teil der Studienplätze neben der Abiturdurchschnittsnote keine weiteren Auswahlkriterien mit erheblichem Gewicht Berücksichtigung finden.

6. Die Einrichtung einer Wartezeitquote ist verfassungsrechtlich zulässig, wenngleich nicht geboten. Sie darf den jetzigen Anteil von 20 % der Studienplätze nicht überschreiten. Die Wartezeit muss in der Dauer begrenzt sein.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesen Leitsätzen noch 25 Orientierungssätze formuliert (juristische Erläuterung der Leitsätze). Alsdann folgt eine annähernd 60 Seiten lange Begründung (so zumindest in der Dokumentation von juris).

Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes sind natürlich von hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung, jedoch wie bereits ausgeführt , einstweilen für die Zulassungsverfahren (sei es innerkapazitäre, sei es außerkapazitär) ohne Bedeutung. Spätestens ab dem Jahre 2020 wird es jedoch anders sein. Denkbar ist insoweit auch, dass die Bundesländer „sich beeilen“, und bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein neues Hochschulzulassungsrecht schaffen. Allerdings dürfte es ziemlich schwierig sein, dass sich die Bundesländer (aufgrund unterschiedlicher politischer Vorstellungen) alsbald auf einen neuen Staatsvertrag verständigen werden. Es gibt allerdings eine vom Bundesverfassungsgericht offengelassene Alternative. Der Orientierungssatz Nr. 6 hat nämlich folgenden Wortlaut:

„Mit Blick auf die Folgen einer Nichtigerklärung für die Studienplatzvergabe in Numerus clausus-Fächern sowie auf die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers ist vorliegend eine Beschränkung auf eine Unvereinbarerklärung geboten. Die Länder sind verpflichtet, bis spätestens 31.12.2019 verfassungskonforme Neuregelungen zu schaffen, wenn und soweit der Bund bis dahin nicht von seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit Gebrauch gemacht hat.“

Wir halten diesen Orientierungssatz 6 für einen Wink bzw. eine Drohung „mit dem Zaunpfahl“. Das Bundesverfassungsgericht verweist den Bundesgesetzgeber auf seine insoweit bestehende konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit. Würde der Bundesgesetzgeber tätig werden, könnte ein neues Hochschulzulassungsrecht bereits vor dem Jahr 2020 in Kraft treten. Ob bei der derzeitigen Uneinigkeit im Bundestag der Hinweis auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes durch das Bundesverfassungsgericht hilfreich ist, bleibt freilich abzuwarten.

Auf eines ist jedoch vorsorglich hinzuweisen: Das Bundesverfassungsgericht betont, dass die Bildung einer Wartezeitquote „an sich verfassungsrechtlich nicht unzulässig“ sei, sie dürfe jedoch den jetzigen Anteil von 20 % der Studienplätze nicht überschreiten. Hieraus ergibt sich zwingend, dass die Wartezeitquote auch vermindert werden kann. Verbunden mit der weiteren Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes, dass die Wartezeit in der Dauer begrenzt sein müsse, ergibt sich hieraus zwingend, dass selbst bei grundsätzlicher Beibehaltung der Wartezeitregelung die Anzahl der Bewerbungsversuche innerhalb der Wartezeitquote beschränkt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht weist insoweit darauf hin, dass eine zu lange Wartezeit dysfunktional wirke. Das Bundesverfassungsgericht verweist insoweit zutreffend auf die relativ hohe Studienabbruchsgebot bei den Wartezeitstudierenden (23,4 % im Vergleich zu 10,7 % unter Studierenden, die im Auswahlverfahren der Hochschulen zugelassen wurden). Von daher wird man realistischerweise davon ausgehen müssen, dass im neuen Staatsvertrag die Wartezeit begrenzt wird und diejenigen Studierenden, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Zulassung erhalten, sich alsdann umorientieren müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat seine (insoweit sicherlich zutreffende) Auffassung wie folgt begründet:


„Ein zu langes Warten beeinträchtigt demnach erheblich die Erfolgschancen im Studium und damit die Möglichkeiten zur Verwirklichung der Berufswahl. Zugleich führt die Inanspruchnahme knapper Studienplatzressourcen über die Wartezeitquote dazu, dass diese Studienplätze für Bewerber mit größeren Erfolgsaussichten nicht zur Verfügung stehen.“

Von daher erscheint es derzeit äußerst zweifelhaft, ob ein Abiturient des Jahres 2016 oder 2017 mit relativ schlechtem Abitur „sinnvollerweise“ auf eine Zulassung über die Wartezeitquote (in 7 oder 8 Jahren) warten kann und soll. Man wird vielmehr davon ausgehen müssen, dass diese Abiturienten sinnvollerweise alsbald die Möglichkeit einer Kapazitätsklage prüfen sollten.

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